ac.t art

ac.t art in der Villa
17


ORTWIN MICHL
Bilder
UDO MEYER
Bilder, Zeichnungen

Eröffnung: 9. März 2002, 20.00 Uhr
Rede: Georg Graf von Matuschka,
Leiter des Kultur- und Freizeitamtes der Stadt Erlangen

Ausstellungsdauer: 10. März bis 17. Mai 2002

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Hier gibt es Bilder von der Ausstellung und der Eröffnung: klick

  Georg Graf von Matuschka zur Ausstellung  

Liebe Kunstfreunde, Liebe Freunde der Malerei, Liebe Zuhörer, ich begrüße Sie ganz besonders herzlich zur Ausstellungseröffnung bei "ac. t art in der villa 17" und danke Herrn Achim Goettert für die Einladung. Bei beiden Künstlern bedanke ich mich, dass ich über deren Werke sprechen darf.

Beide Künstler, die in diesen Räumen ausstellen, sind im Fränkischen Raum bekannt und Sie, verehrtes Publikum, konnten in den letzten Jahren immer wieder deren Werdegang und Werkentwicklung mitverfolgen.

Udo Meyer (Jg. 41) und Ortwin Michl (Jg. 42) haben zur gleichen Zeit an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg studiert. Beide leben seither hier im Großraum Nürnberg/ Fürth. Neben ihren zahlreichen künstlerischen Arbeiten, ihren Grafiken, szenischen Figurationen, Objekten und Rauminstallationen sehen Sie heute ausschließlich Bilder und Zeichnungen, wie es die Einladungskarte ausweist.

Udo Meyer sagt über seine Bilder, dass diesen keine Philosophie zugrunde liege. Es ist wie es ist. Als Redner möchte man dieser Selbstaussage des Künstlers kaum ein Wort hinzufügen. Kurzum: Meyers Bescheidenheit ist zu respektieren, macht es aber einem Redner schwer, hier noch die rechten Worte zu finden. Ich will dennoch diesen Versuch wagen, umso mehr, weil ich der Meinung bin, dass es sich immer lohnt aus dem "Sehen ein Betrachten" zu machen. Sie werden hoffentlich mit mir nachvollziehen können, dass sich die nähere Betrachtung als lohnend erweist.

Meyers meist breitformatig, mit Acrylfarbe angelegte Bilder treten durch ein besonderes Merkmal hervor.
Der Betrachter begegnet stets einem Bildwerk, welches meist durch zwei Farbbalken strukturiert und deren Aufeinandertreffen im Mittelfeld des Bildträgers angelegt ist. Meyers Arbeit stellt sich als ein langwährender Prozess des Lasierens von Farbschichten dar, deren zeitlichen Endpunkt er allein bemisst. Durch völlig unterschiedlich übereinander gelagerte Farbfelder entstehen bei diesem Schichtungsprozess mehrere Bilder über-einander, die dem Betrachter nur rudimentär nachvollziehbar bleiben. An den Rändern der Farbfeldzonen sind Farbreste wie Ausfransungen erkennbar, die den Prozess des Aufbaus nachvollziehen lassen.

Auch wenn der zeitlich lineare Aufbau der Farbfelder - Schicht um Schicht, Lasurdecke um Lasurdecke - nicht bis ins Letzte analysierbar, also zurückverfolgbar bleibt, wohnt den Bildern ein Prinzip der Überlagerung inne, welches den geheimnisvollen Urgrund der jeweils letzten Erscheinung birgt. Das Auge tastet lediglich an der Oberfläche entlang und das Hindurchschimmern unterlegter Schichten bleibt zart und fragmentös im Verborgenen. Mittlere Schichten werden gewissermaßen umhüllt von darunter und darüber liegenden Farbdecken.

So erlebt der Künstler ein Wechselspiel von Farbdialogen, die dem Betrachter weitestgehend entzogen sind. Sie können lediglich antizipiert werden. Diesem Appell zur Vorstellungskraft ist gleichermaßen jeder Betrachter für sich ausgesetzt. Was dem Bild inhärent ist, wird vom Künstler nicht als Aufgabe gestellt. Es ist nur eine von vielen Möglichkeiten, diesen Farbformdialogen und ihrer Genese zu begegnen.

Gerne möchte man dem Künstler über die Schulter sehen und beim Werkprozess die spannungsreichen Wechsel der Farbinteraktionen zwischen oberem und unterem Feld miterleben.

Die Ergebnisse evozieren andere Begriffsfelder: leicht über schwer, düster über heiter, dissonante Paarung, vibrierend über still, heitere Lösung, energetisches Feld, melan-cholische Differenz, graduelle Aufbrüche zu gestörter Monotonie. Jeder fände hier andere begriffliche Anwendungen und genau genommen hätten wir immer eine Gleichung anzuwenden: wir hätten die Anzahl der Bilder mit der Anzahl ihrer Betrachter zu multiplizieren.

Dieser Farbformdialog ist als psychodynamischer Prozess artikulierbar und wird beim Betrachter als psychomentaler Prozess wahrgenommen. Er versetzt den Betrachter in unterschiedliche Gefühlslagen und ruft unmittelbare stimmungsgeladene Reaktionen hervor. So gesehen bleiben die Bilder nicht gleich, sondern ändern sich mit der psychischen Verfassung der Betrachter, von Tag zu Tag, von Moment zu Moment. Damit entzieht sich das Kunstwerk auch einer eindimensionalen Betrachtungsweise oder gar romantisierenden Verbalisierung. Was heute als trüb-melancholisch wahrgenommen wird, kann morgen als beruhigend, ausgleichend oder als latent aggressiv gedeutet werden.

Wie dem auch sei, die energetischen Prozesse zielen auf das Zeitliche in Meyers Bildern. Natürlich würde der ein oder andere gerne dem Entstehen des Bildwerdens beiwohnen und so die Abfolge der Spiel- und Variationsmöglichkeiten kennen lernen. So aber wohnt den Bildern dieses unhintergehbare Geheimnis inne. Mit der Darbietung des letzten Moments innerhalb dieser Kette öffnet sich Udo Meyer und zeigt energetische Farbformdialoge, die von hohem Potential und Reiz sind. Diese "letzten Momente" einer dialogisch angelegten farblichen Interaktion bestimmt allein der Künstler. Er trägt diese als Ergebnis einer spannungsvollen Sehreise als endgültige Situation vor. In der Tat kommen diese Bilder ohne Titel und ohne Philosophie aus. In ihrer Beschränkung auf graduell zwei modulierte Farbwerte steckt die Größe dieser Bilder in ihrer bescheidenen, zurückhaltenden Form. Es braucht künstlerisch viel Reife, um sich zu dieser Art von Reduktion zu bekennen, ja vielleicht auch dorthin zu finden. Mit der "Sprache der Farbe" zu sprechen gelingt nur dann, wenn es Betrachter gibt, die sich auf die nuancenreichen Kompositionen Meyers einlassen. Ich kenne hierfür nur meine Form der Annäherung, die ich ihnen gern verraten will. Meyers Werke entfalten Ihre Wirkung in aller Stille und mit der dazugehörigen inneren Verfassung, Geduld und Bereitschaft zum vorurteilsfreien Erfassen. Eben dies hieße wirklich wahr-genommen werden.

Ortwin Michl ist Ihnen durch viele Ausstellungen, Ehrungen und Preise bekannt. Seit 1986 lehrt er als Professor an der Georg-Simon-Ohm-Fachhochschule im Bereich Gestaltung in Nürnberg.

Für Michl bildet die Begegnung mit der Natur das Zentrum seines Schaffens und Erlebens. Zahlreiche Reiseerlebnisse, Landschaftsbegegnungen, Naturbeobachtungen, Erkundungen, Grenzgänge zu lebensbedrohlichen Momenten prägen seine Erfahrungs- und Lebenswelt. Er scheut sich nicht, die eigenen Kräfte in Extremsituationen auszuloten und somit auch Grenzen und Begrenzungen des eigenen Daseins tiefer und tiefer kennen zu lernen. So schöpft Michl aus einem reichhaltigen Arsenal von Naturerfahrungen, manchmal sogar extremen Lebensmomenten.

In seinen Arbeiten geht Michl den Weg des Erkundenden und sich vom Unabsichtsvollen Tragenden. Darin gleicht er dem Reisenden in unbekanntes Terrain, der offen ist für den überraschenden Moment, für den zuvor nie gesehenen Ort, die bislang nie selbst erlebten Räume, die nie vormals vorgezeichneten Bahnen und Wege. In diesem Raum ohne Karte, ohne verlässliches allgemein taugliches Orientierungsarsenal, zählt nicht das Suchen und nicht einmal das Finden, sondern das Gefundene, das Vorgefundene als EREIGNIS. Allein dies erfordert direkte Stimulans, Impuls, wachsame Reaktion, Gespür, intuitives Handeln, Mut zum Experiment, Mut zur Begegnung und das Realisieren von Anspannung und Anziehung. Das wirklich NEUE gelingt dann nur wieder im Ablegen von Geschichte und Seinsverlässlichkeit. Es ist tief verbunden mit der Selbstüberwindung, nämlich zu neuen Schritten "Ja" zu sagen.

Hier nun ist Platz für das Überwältigende, das Wahrnehmen des Subtilen und Platz für Erinnerungen an Zeichenhaftes, Merkwürdiges, Markierungen, Anhaltspunkte im Meer der tausend Empfindungen.

Michl verlässt in seinen Arbeiten den koordinierten Raum.

Der Betrachter findet sich in einem Raum ohne Bodenhaftung, ohne Horizont und vertikale Haltelinie. So konfrontiert Michl den Betrachter mit zeichenhaften Situationen, deren Nähe und Ferne sich nicht verorten lässt. Schnitt, Raumnahme, Aufsplittung der Verlaufsstruktur, Fein- und Grob-Bündelung, Entgrenzung, Umfassung und Überborden sind immer wieder auftauchende Kompositionselemente.
Keilartiges Heraustreten einer Form aus dem Bildinneren bis an die Grenze der Leinwand, deren Weiterstreben uns verschlossen bleibt.
Mit dem Außerkraftsetzen des räumlichen Rückhaltes gerät der Betrachter zuweilen in ein Taumeln, in ein Feld der Irritation und der Orientierungslosigkeit. Zeichenhaftes bildet Anhaltspunkte, ohne jedoch zu Vergewisserungen überzuleiten. Formfragmente geben Sinnspuren, ohne jedoch schlüssige Zusammenhänge daraus entwickeln zu können. Bruchstückhaftes erzählt von einer "anderen Welt". Hermetisch bleibt jedoch der Zugang zu dem Nichtdargestellten abgekappt und damit als strukturale Position bestehen, deren Sinn als bildnerischer Sinn im begrenzten Feld des Malraums Kraft und Stärke erhält, nicht darüber hinaus.

Farbräume, Parzellen, Fragmente

Farbräume - unendlicher Raum. Meist tönt ein breit angelegter Farbton als Raumklang, dieser Farbton wird durch mannigfaltige Brechungen und farbliche Stufungen zu einem vibrierenden Kontinuum überführt. Michl spielt minutiös mit der Einbringung von zusätzlichen Ebenen, eingeklebten Farbrauminseln auf Leinwandgrund. Einmal positioniert, unterstreichen sie zuweilen die Strenge und Starrheit des rechten Winkels oder sie wiedersetzen sich der Vertikal-Horizontal-Gliederung der Leinwandbegrenzungen in abweichenden Verlaufswinkeln und Brechungen.

Eingearbeitete Hartfaserplatten oder Ausrisse aus Wellpappe erfüllen zweierlei: Flä-chenüberlagerungen und Reliefstruktur. Die Dynamisierung der Leinwand zur Trägerfläche und fixierenden Ebene für Objekte und Zeichen gibt der überbordenden Farbe bis an die Grenze des Leinwandrandes hierbei eine zusätzliche Note. Michl vermeidet die singuläre Bildung von Bildzentren, sondern verleitet den Blick des Betrachters zu Blicksprüngen zwischen mehreren Aufmerksamkeitszentren. So gesehen bleiben die Bilder stets ruhelos, aufrührend, destabilisierend, autonom.

Auch hier spielt Michl mit den zahlreichen Möglichkeiten: mal überfließt die Farbe die eingearbeiteten Hartfaserplatten, ein anderes Mal werden sie zu "Farbraumfenstern", wieder ein anderes Mal werden ihre Bemessungen als formale Gliederungsmomente im Bild nutzbar gemacht. Wie Splitter aus einer verwandten Farbwelt landen sie auf diesem einen Urgrund und machen dort ihre Existenz zum graduell gewichtenden Schwer-Leicht-Merkmal der Gesamtkomposition. Staffelung, Gruppenbildung, Streuung, Reihung bilden jeweils unter-schiedliche Wirkweisen.

Ein anders mal assimilieren die eingebauten Flächen die Farbspuren und Umgebungsräume wie ein sich tarnendes Tier (Schutz, Tarnung, Farb-Formverwandtschaft, Lebensraumfixierung, Heimat, Bindung). Die Beispiele aus der Natur sind unendlich. Ein anderes Mal (blaugrau über blaugrau) liegen die eingefügten Farbparzellen wie unfertige oder tote Bilder im Kontinuum der Gesamtkomposition. Das Malerisch-Flächige wird hier zurückgedrängt. Dafür wirken die Randbereiche der Hartfaserauschnitte wie scharf kontrastierende Liniengerüste und Feldumgrenzungen innerhalb der Gesamtkomposition. (vgl. P. Klee: Fläche = linear aktiv)

Gesten, Spuren, geschwinde Zeichen

Dort, wo Michl Zeichenhaftes über die vibrierenden Felder seiner changierenden Farbräume legt, bilden oftmals energetische Ströme, flüchtige Formen, zerreißende Farbspuren ihr kontrastierendes Eigenleben. Energetische Schwünge (rot) von Pinselstrichen wie in dem Werk "hoch oben" werfen einen blaugrauen Schatten auf die Leinwand. So vermitteln sie den Eindruck, als wollten die energetisch hoch aufgeladenen Farbstränge in hoher Eile den gemalten Bildraum verlassen und in die Betrachterwelt hinüberspringen (Warm verlässt Kalt). Und ein anderes Mal: zähe, massige Schlieren neben aufreißenden, dahinfegenden Farbspuren legen Temperamente frei und verweisen kontrastierend auf die dahinterliegende leicht vibrierende wogende Farbraumdecke.

Oftmals präsentiert Michl grelle monochrome, eng beieinander liegende Farbstränge als Bündelungen vor dem in gedämpften Tönen artikulierten Umgebungsraum. Seine malerischern Bündelungen erhalten eine Steigerungsform in der Einbringung von ver-schnürten und verpackten Objekten auf dem Leinwandgrund. Als Farb-Form Elemente auf der Leinwand fixiert und in bestimmte Anordnungen auf der Leinwand gebracht, strukturieren und dynamisieren sie nicht nur das bildnerische Geschehen. Als greifbare, beinahe entnehmbare, haptische Zeichen gehören sie einer Zwischenwelt an. Antizipiertes Wissen in Form von archiviertem Zeichenreservoir. Als Träger von unentzifferbarem, verschlossenem Sinngehalt und gleichzeitig als Kompositionsmittel, das einer malerisch-formalen Gebärde Sinn verleiht.

Allen Bildern eigen ist das "Prinzip der Störung" - damit meine ich Bezüge, die in Unruhe versetzen, also Spannung erzeugen. Dieser Spannung nachzuspüren lohnt sich.

Ich danke beiden Künstlern für Einblicke und Präsentation ihrer Arbeiten. Ich freue mich, dass ich über ihre Werke sprechen durfte und danke dem Publikum für die erwiesene Aufmerksamkeit.

Georg Graf von Matuschka
Leiter des Kultur- und Freizeitamts der Stadt Erlangen

© für diesen Text: G. v. Matuschka, Erlangen, März 2002

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